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Ethikcafé: Geschichten zur Geschichte

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»Das HSK – Zukunft hat Geschichte(n)«. Der vieldeutige Titel machte neugierig, und so kamen 30 Mitarbeitende zum 12. Ethikcafé. Es war die erste Veranstaltung im Jubiläumsjahr, die sich ausdrücklich mit der Geschichte des Heinrich Sengelmann Krankenhauses beschäftigte. 

Ausgesprochen lebhaft ging es im Ethikcafé zu. Kein Wunder, denn in der Talkrunde saßen drei Frauen und ein Mann, die das Krankenhaus seit Jahrzehnten von innen kennen und deshalb die Unterschiede von damals zu heute plastisch schildern konnten. Uwe Ott ist Sozialarbeiter seit 37 Jahren. Als er anfing, gab es vier Sozialarbeiter für 300 Patienten – jetzt hat jede Station »ihren« Sozialarbeiter. Uwe Ott hat auch die Schneekatastrophe 1979 miterlebt, als das HSK mehrere Tage eingeschneit und von der Außenwelt abgeschnitten war und Patienten und Personal in einer Schicksalsgemeinschaft vereint die Lage meisterten.

Bärbel Dabelstein kam Anfang der 80er Jahre als Arzthelferin, absolvierte Aus- und Weiterbildungen bis zur Stationsleiterin der Gerontopsychiatrie. Sie erinnert sich noch gut daran, wie früher eine Patientin zu ihr nach Hause zum Kaffeetrinken kam – damals ganz normal, da mit den damaligen Langzeitpatienten eine ausgesprochen familiäre Atmosphäre das HSK bestimmte.

Bettine Wyszomirski, heute Oberärztin in der Tagesklinik Ahrensburg, und Beate Hoffmann, Ergotherapeutin, arbeiten seit 1993 im HSK. In den zwei Jahrzehnten ihrer Tätigkeit haben sich die Bedingungen für die Behandlung grundlegend verändert. Frau Wyszomirski verfolgt nach wie vor das Ziel, die Patienten in ihrer Ganzheit zu sehen. Weil das System aber eine länger andauernde Behandlung nicht zulässt, behandelt sie die Probleme des Patienten oft in Behandlungsintervallen – z. B. mit dreimonatigen Unterbrechungen. So kann sie trotz wirtschaftlicher Einschränkungen ihre eigene zentrale Forderung erfüllen, »in Beziehung zum Patienten zu sein«.

Die Schilderungen von Beate Hoffmann führten den Wandel in den Fachtherapien plastisch vor Augen. Sie trat ihren Dienst als »Beschäftigungs- und Arbeitstherapeutin« an. Die Arbeitstherapie strukturierte damals den Tag der Patienten, es ging um Beschäftigung und auch einen kleinen Verdienst. Die Patienten arbeiteten u. a. an Webstühlen, in der Ton- und Keramikwerkstatt, im Garten. Heute bereitet Beate Hoffmann als Ergotherapeutin die Patienten auf die Zeit nach dem Krankenhausaufenthalt vor, möchte sie in die Lage versetzen, selbstverantwortlich und selbstständig zu leben.

Regine Rathmann (Sozialdienst) und Krankenhausseelsorger Andreas Erler erkannten als Moderatoren in den vielen Geschichten und Fragestellungen den roten Faden durch die Jahrzehnte: Ethik damals – das war das kirchlich geprägte Haus, Nächstenliebe wurde ausgeübt, manchmal auch bevormundend, besorgt um das Wohl des anderen. Im HSK lebten die Patienten manchmal mehrere Jahre lang. Die Gemeinschaft im Krankenhaus war ein Stück Familienersatz. Die Patienten waren in großen Sälen untergebracht, wurden mit zum Teil schmerzhaften Prozeduren behandelt oder mussten Zwangsmaßnahmen erleiden. »Das mag man heute fürchterlich finden«, sagt Pastor Erler, »aber die Möglichkeiten, die damals zur Verfügung standen, waren andere als heute. Wir neigen dazu, die damaligen Verhältnisse nach heutigen Maßstäben zu beurteilen, aber damit werden wir der Situation nicht gerecht.« Und trotz allem fühlten die Patienten sich zu Hause, »weil mit Seele gearbeitet wurde«, das bestätigen viele Aussagen aus dieser Zeit. Auch heute steht ein christlich orientiertes Wertebild im Vordergrund. Jeder Patient wird individuell behandelt, erhält aus dem großen Spektrum der Therapien genau die, die er braucht. Moderne pharmazeutische Mittel mit möglichst wenig Nebenwirkungen werden eingesetzt. Der Krankenhausaufenthalt dauert im Schnitt nur noch 24 Tage. Das Ziel besteht darin, die Patienten möglichst bald wieder in ihr Leben zu entlassen. Die Behandlung soll sie dazu befähigen, ihre psychischen Probleme zu meistern, so selbstständig wie möglich zu leben und an der Gesellschaft teilzuhaben. Die vielen »Geschichten aus der Geschichte« führten zu einem lebendigen Austausch. Regine Rathmann freute sich über das große Interesse: »Uns geht es im Ethikcafé darum zu zeigen, dass sich die Arbeit zwar verändert hat, dass es aber damals wie heute eine ethisch verantwortungsvolle Haltung gibt.« Und es schloss sich noch ein Blick in die Zukunft an: Was können die heute Verantwortlichen den Nachwuchskräften mitgeben? Die Antwort: Es geht nicht nur darum, Diagnosen zu behandeln, sondern mit den Menschen in Beziehung zu treten und sie zu unterstützen.

Das nächste Ethikcafé findet am 3. September statt. Die Ethikgruppe hat das Ahrensburger Beratungs­team »BEHERZT« eingeladen, das Hilfen für Kinder psy­chisch erkrankter Eltern anbietet.

Text: Inge Averdunk, Fotos: Wolfgang Bruners